Bauernaufstand für alle - erheben wir uns gegen uns selbst!

Mittwoch, 27.12.2023 | CC-BY-ND Marc Stephan

Wie man den Bauern wirklich helfen kann


Sie protestieren mit ihren tonnenschweren Traktoren gegen die Abschaffung der Steuervergünstigung in Form des Agrardiesels. Und einige ganz Wilde kochen das jetzt hoch zum Volksaufstand gegen die Regierung. Dabei sollte sich der Volksaufstand in dieser Sache gegen das Volk richten. Davon kriegen die blauen Hasskasper aber keine feuchten Umsturz-Träume, also lärmen sie zum Aufstand gegen die Regierung.

Zunächst eines vorweg: Ja, die Streichung der Subventionen war eine reine Klientel-Entscheidung der Ampel-Regierung; nicht allein der Grünen, wie die Blauen es gerne hätten. Die beabsichtigte Änderung dürfte dem Haushalt 2024 etwa eine Milliarde Euro bringen, während zum Beispiel die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs etwa 17 Milliarden in die Kassen spülen würde. Die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs würde in aller Regel auch niemanden treffen, dem das Wasser bis zum Hals steht. Denn ja, vielen Landwirten steht das Wasser bis zum Hals, und sie brauchen das Geld; gerade weil ein großer Schlepper an einem Tag mit schwerem Langzeitbetrieb schon mal 600 Liter Diesel durchschnorchelt.

Noch ein zweites vorweg: Ja, ich lebe auf dem Land, alle meine Vorfahren waren Bauern. Mein Vater war der erste Teilerwerbslandwirt und später gar kein Landwirt mehr. Und ja, als Kind habe ich noch jede Kartoffel einzeln gelesen, zusammen mit Familie und Bekannten und Rüben einzeln von Hand aus der Erde gerupft und skalpiert, später wieder alle Rüben in die Hand genommen, um sie auf den Wagen zu laden. Das Rübenkraut (die Skalps) wurde später extra aufgeladen, weil das Schweinefutter war und man nichts auf dem Acker zurückließ. In fast jedem Haus im Dorf war ein Bauer zuhause und zu Erntezeiten oder Unkraut-von-Hand-hack-Zeiten hat man dementsprechend auch das ganze Dorf auf den Feldern rundum getroffen. Ja, kenne ich alles, habe ich mitgemacht. Heute machen das zwei Bauern auf ihren schweren Traktoren alleine. Die Felder und Feldwege sind leer, bis auf ein paar Spaziergänger oder Radfahrer.

Da liegt dann auch der Punkt: Diese ganze Arbeit machen heute zwei Bauern auf ihren großen Maschinen. Weil es kaum noch Bauern gibt und wenn, müssen sie große Flächen bewirtschaften, um überhaupt durchzukommen. Mästet man zum Beispiel ein Ferkel bis zum Schlachtschwein und dann im Verkauf gerade einmal fünf Euro Gewinn macht, muss man schon sehr viele Schweine mästen übers Jahr. Wird eines krank und der Tierarzt muss gerufen werden, dann sind schnell mal 30 Schweine umsonst gemästet worden. Bei der Milch sieht es nicht besser aus.

Aber warum ist das so? Dafür gibt es zwei Gründe: die Bauern, die sich von der Wirtschaft zu stark beeinflussen lassen und wir, die wir die Wirtschaft unterstützen aber nicht die Bauern! Wie jetzt? Ja genau, wenn wir uns «erheben», weil den Bauern das Wasser bis zum Hals steht, dann müssen wir uns vor allem gegen uns selbst erheben. Nicht gegen die Regierung, wird also nichts mit den blauen Umsturzplänen.

Vor einigen Jahrzehnten wurde den Bauern erzählt, sie könnten und müssten ihre Güter konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt machen. Für die Welt produzieren. Damit traten deutsche Familienbetriebe aber in internationale Konkurrenz mit wirklichen Argar-Industrien, wie in Amerika. Die sinkenden Preise, etwa bei der Milch, sollten die Bauern durch mehr Produktion kompensieren; dabei weiß jeder, dass ein steigendes Angebot die Preise weiter sinken lässt. Wenn die deutschen Bauern jetzt aber für die Produktion von einem Liter Milch mehr Kosten haben, als der Verkauf an die Molkerei bringt, können sie das nicht durch mehr Produktion kompensieren, sie müssen billiger produzieren und auch das geht nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ich denke, dieser Punkt ist in Deutschland erreicht. Während es hierzulande immer weniger Milchhöfe gibt, sinkt aber die Milchproduktion kaum. Das könnte man wirtschaftlich umlegen mit: Der Markt regelt das. Ja, der internationale Markt, auf dessen Parkett die deutschen Bauern sich damals gewagt haben.

Der internationale Markt soll das aber nicht regeln, weil das bedeutet, dass die deutschen Bauern denselben Raubbau mit der Natur treiben müssen, wie andernorts. Will ich mehr Ertrag, muss ich mehr düngen, der Boden laugt aus, ich muss noch mehr düngen. Mittlerweile haben wir aber zu viel Dünger im Boden, dass das Grundwasser belastet wird. Deshalb sind die gesetzlichen Vorgaben zur Eindämmung schon in Ordnung, nur können die Bauern so nicht genügend erwirtschaften. Dasselbe mit den großen Feldern, die man mit wenigen großen Maschinen bewirtschaften kann, mehr Fläche in weniger Zeit. Das spart Geld. Schadet aber der Fauna und fördert die Erosion durch Wind, lässt Böden schnell austrocknen, um das alles zu vermeiden, braucht es mit Hecken, Sträuchern und Bäumen durchbrochene Felder; auf denen kann der Bauer aber nicht mehr so effektiv arbeiten.

Außerdem muss man bedenken, dass unsere Bauern vom Verkauf ihrer Milch nicht leben können, und trotzdem macht die Industrie von der reichlich vorhandenen überschüssigen deutschen Milch tonnenweise Milchpulver, das per Schiff zum Beispiel nach Afrika geliefert wird. Dort wird es so billig verkauft, dass für afrikanische Bauern die Milchwirtschaft nicht lohnt. Und bei alledem muss die Industrie daran immer noch verdienen, sonst würde sie es nicht tun!

Also was nun? Meine Milch und Milchprodukte kaufe ich von regionalen Molkereien, deren Produkte werden oft schon in «normalen Supermärkten» angeboten. Ja, sie kosten mehr. Für einen Liter Milch vom Bauernhof 30 Kilometer entfernt, zahle ich wohl 80 Cent mehr als von der billigen Großhandelsmilch. Das tue ich aber gerne. Das Fleisch kaufe ich, wenn möglich, vom Weiderind oder lokal bzw. regional, und auch das kostet mehr als Massenware. Das zahle ich aber gerne, wenn dafür mehr bei den Bauern ankommt. Dasselbe mit Kartoffeln oder Gemüse. Also wenn wir unsere Bauern unterstützen wollen, müssen wir nicht auf irgendwelche Umsturzaufrufe hereinfallen. Die Not der Bauern haben wir zu verantworten, gemeinsam mit den Bauern. Irgendwann sollte die Subventionierung des Diesels nicht mehr nötig sein, wenn wir alle mithelfen. Das Wegstreichen von heute auf morgen aber sollte die Regierung noch einmal überdenken.

Nachwort: Viele zerren jetzt wieder die sozial Schwächeren hervor, um sie als Argument zu nutzen. Aber auch hier: Den meisten von uns geht es nicht so schlecht, wie wir uns immer vorjammern. Ein Blick auf die mit SUV oder Luxuskarossen gefüllten Straßen, die voll besetzten Urlaubsflieger oder die Höhenflüge der Streamingdienste usw. zeigt die Wahrheit. Wir müssen sehen, wo wir die Prioritäten setzen. Fliegen wir also lieber zweimal im Jahr in den Urlaub, statt mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, dürfen wir das tun. Dann dürfen wir aber nicht auf die Regierung schimpfen, wenn es den Bauern schlecht geht, und diese dürften die Misthaufen dann vor unsere Haustür kippen (übrigens im Sinne der Gleichbehandlung sollten die Bauern, die Mist abkippen für die Entsorgungskosten aufkommen und ein Bußgeld erhalten, und die, die absichtlich Polizeiabsperrungen umfahren oder durchbrechen, sollten auch Punkte und Fahrverbote kassieren). Doch zurück zu den sozial Schwachen: Die, die jetzt immer die besagten Armen vorschieben, sind meistens auch die, die sich aufregen, wenn das Bürgergeld erhöht wird. Dabei sollten wir lieber darüber nachdenken, warum so viele Vollzeitjobs knapp über Existenzminimum entlohnt werden. Das ist im Prinzip dasselbe Egoismus-Geiz-ist-geil-Komfortzonen-Problem wie mit den billigen Lebensmittelpreisen.

Also wer die Bauern unterstützen will, kauft zukünftig keine billigen Lebensmittel mehr, sondern nach Möglichkeit lokal und regional. Die Bundesregierung überlegt sich die lächerliche Nummer mit der Subventionsstreichung von einer Milliarde noch einmal und arbeitet sich besser am Dienstwagenprivileg ab. Und wir alle, zeigen den meist rechten Umsturzträumern schön den Stinkefinger. Die instrumentalisieren nämlich alles für ihre Zwecke, denen liegt nicht absolut nichts an irgendwelchen Bauern oder Kleinverdienern.